Branchen
Heraus
Forderung

Die Herausforderung der Branche

Die Arbeit an und mit Menschen im Einzelhandel wird derzeit durch den Trend zum „arbeitenden Kunden“ (Voß/Rieder 2006), den florierenden Online-Handel und die Digitalisierung des Point of Sale bestimmt. „Arbeitende Kunden“ übernehmen Tätigkeiten, die vorher von Beschäftigten ausgeübt wurden; gleichzeitig sind Beschäftigte im Ladenlokal unterwegs, die gar nicht im Kund:innenkontakt arbeiten. Kund:innenstören“ diese Beschäftigten, wenn sie sie ansprechen (Böhle et al. 2015). Der Onlinehandel setzt den stationären Einzelhandel massiv unter Druck, und die Digitalisierung des Point of Sale birgt die Gefahr, die Professionalität der Beschäftigten zu entwerten. Unter dem Stichwort Omnichannel wird eine Vernetzung digitaler und analoger Kanäle beworben, in der Mensch und Technik perfekt zusammenspielen – von einer Realisierung dieser Vorstellung ist man aber noch immer weit entfernt.

Im Zuge dieser digital getriebenen Entwicklungen im Einzelhandel verändern sich vorhandene Kundenschnittstellen und neue Schnittstellen entstehen. Daraus resultieren neuartige Unterbrechungen in der Dienstleistungsinteraktion. So informieren sich „arbeitende Kunden“ im Internet über Produkte, bewegen sich auf digitalen Verkaufs- und Bewertungsplattformen und konfigurieren Produkte digital. Auch die analoge Selbstbedienung im Ladenlokal nimmt vom Umfang her zu und wird mit digitalen Tools angereichert, etwa durch selbstbediente Bezahlsysteme. Gleichzeitig nimmt aber auch der persönliche Beratungsbedarf zu. Das ist zum Teil eine Folge der digitalisierten Technik selbst, wenn Kund:innen an ihre Grenzen geraten. Aber auch die Technik gerät an ihre Grenzen, wenn es um komplexere Beratung mit Aushandlungsbedarf, sinnliche Erfahrung mit dem Gegenstand oder das Bedürfnis nach Sozialkontakt geht. In der Folge entstehen neue Schnittstellen zwischen den einzelnen Medien und insbesondere zwischen den digitalen Medien und der analogen (aber auch selbst digital angereicherten) Dienstleistungsbeziehung am Point of Sale. Dort treffen Kund:innen dann auch auf Beschäftigte, die ihrerseits vielfältigen Aufgaben nachzugehen haben. Wenn man so will, unterbricht man sich wechselseitig bei seiner jeweiligen Arbeit.

Zitierte Literatur:

Voß, G. Günter Voß, G. Günter; Rieder, Kerstin (2006): Der arbeitende Kunde. Wenn Konsumenten zu unbezahlten Mitarbeitern werden. 2. Auflage. Frankfurt am Main, New York: Campus.

Böhle, Fritz; Stöger, Ursula; Weihrich, Margit (2015): Interaktionsarbeit gestalten. Vorschläge und Pers­pek­tiven für humane Dienstleistungsarbeit. Berlin: edition sigma.

Teil

projekt

Modellhafte Entwicklung und Erprobung von Anwendungsszenarien für ein Unterbrechungsmanagement im Einzelhandel

Individuelle
Heraus
forderung

Die Herausforderung für Reidl

Reidl ist ein Fachmarkt für Befestigungstechnik und hat Verkaufsräume und Vertrieb in hohem Maße digitalisiert. Gleichzeitig spielt die persönliche Beratung weiterhin eine zentrale Rolle. Das Unternehmen versucht, seine Kund:innen (vor allem handwerklich beschlagene Geschäfts- und Privatkunden) über viele Kanäle zu bedienen und die einzelnen Kanäle geschmeidig miteinander zu verknüpfen und Medienbrüche zu vermeiden.

Die Kund:innenschnittstellen sehen folgendermaßen aus: Reidl bietet zum ersten einen durchgängig geöffneten Shop ohne Personal für registrierte Kund:innen, die dort selbsttätig einchecken können, sich selbst bedienen und auch Artikel abholen können, die sie online bestellt haben. Zum zweiten nimmt der Online-Handel selbst inzwischen einen großen Bereich ein. Zum dritten ist auch das Ladenlokal mit digitalen Tools ausgestattet: z.B. lassen sich Informationen zu den jeweiligen Produkten über Displays abfragen. Das Unternehmen ist sensibel für die Grenzen des Technikeinsatzes und möchte seine Kund:innen nicht überfordern. Um Unterbrechungen der Kund:innenarbeit zu vermeiden, müssen diese Tools intuitiv zu bedienen sein. Zum vierten stellt Reidl auch individualisierte Produktpakete zusammen, wofür aufwendige Beratungsleistungen zu erbringen sind. Und fünftens stehen die Mitarbeiter:innen vor neuen Problemen: Sie haben es zum einen mit immer besser qualifizierten Kund:innen zu tun und müssen Fachgespräche unter „Profis“ führen können. Und sie müssen zum anderen damit zurechtkommen, dass Kund:innenanfragen über verschiedene Schnittstellen (und oft gleichzeitig) bedienen sind – so sind nicht nur mehrere Kund:innen gleichzeitig vor Ort, sondern sie melden sich per Telefon, Email oder WhatsApp bei den Beschäftigten.

Reidl entwickelt Anwendungsszenarien für ein Unterbrechungsmanagement, das Medienbrüche weiter entschärft, Dienstleistungsbeziehungen unterbrechungssensibel gestaltet, Dienstleistungsqualität weiter verbessert und gleichzeitig Beschäftigte entlastet, die im Kund:innenkontakt arbeiten. Hierfür wird das Potenzial der Digitalisierung genutzt, aber auch darauf geachtet, dass durch deren Nutzung die „emotionale Facette“ nicht aus dem Blick gerät.

Individuelle
Heraus
forderung

Ihre Ansprechpartner:innen

Richard Reidl

08505 86990-0


Projektverantwortlicher im Teilprojekt

Stefanie Weber

08505 86990-65


Mitarbeiterin im Teilprojekt

Kon
takt

Forschungseinheit für Sozioökonomie der Arbeits- und Berufswelt
Prof. Dr. Fritz Böhle

Verbundkoordination

Eichleitnerstraße 30 – 86159 Augsburg

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info@unterbrechungen-bei-interaktionsarbeit.de

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